Freitag ist frei. Das gilt für Muslime wie auch zur Hälfte für die Juden, denn der Sabbat beginnt am Freitagnachmittag. Wir fuhren deshalb nach Jerusalem, um ein bisschen auf Tourismus zu machen. So der Plan.
Programmpunkt 1: Checkpoint.
Zwei Buslinien fahren von Bethlehem aus nach Jerusalem. Die eine umfährt den Checkpoint und startet etwas weiter entfernt von unserem Wohnviertel, die andere Linie fährt erst hinter der Mauer los. Wir entschieden uns für letztere Variante und passierten den Checkpoint. Vor uns warteten schon einige Menschen, es ging nur langsam voran. Ich malte mir zwischendurch aus, was wohl passieren würde, wenn ein Feuer oder ähnliches eine Massenpanik auslösen würde – man käme nicht weg. Eingezwängt in der Menschenschlange, die von Metallgittern zum Checkpoint geleitet wird, hätte man keine Möglichkeit, nach draußen zu kommen. Eine beängstigende Vorstellung.
Am Checkpoint entscheiden Israelis, wer wann rüber darf.
Auf der anderen Seite der Mauer trafen wir auf drei Israelinnen der Organisation Machsam Watch, die täglich an verschiedenen Checkpoints das Verhalten von Soldaten gegenüber den wartenden Menschen dokumentieren. Ihre Anwesenheit war den Soldaten erkennbar unangenehm und bald wurden sie aufgefordert, mehr an den Rand zu gehen und sich nicht in die Diskussion mit einem Palästinenser einzumischen, dessen Tochter ohne Ausnahmegenehmigung nicht auf die andere Seite gehen durfte. „Go home“, sagte der Soldat zu ihm. Pech gehabt.
Programmpunkt 2: Silwan
Silwan ist ein Jerusalemer Viertel südöstlich der Altstadt. Hier befindet sich die Davidsstadt, der älteste Teil Jerusalems. Vor 3000 Jahren soll König David das Gebiet erobert haben, 1850 wurden die ersten Ausgrabungen gemacht, bis heute wurde aber noch nicht alles freigelegt. Das soll nun wohl passieren, bloß stehen auf dem Gebiet Häuser von Muslimen, die das Viertel bewohnen. Und die wollen nicht weg. Unter anderem deshalb finden in Silwan regelmäßig Kämpfe zwischen Muslimen und der israelischen Armee statt, pünktlich nach dem Freitagsgebet beginnt die Schlacht. Mich erinnerte die Szene ein bisschen an den 1. Mai in Berlin: Hauptsächlich junge Männer bewarfen die Soldaten mit Steinen, die Israelis antworteten mit Tränengas und Wasserwerfern. Eine friedliche Demonstration gegen den geplanten Abriss von Häusern hätte mir persönlich besser gefallen, vielleicht haben diese Männer, ohne Arbeit, ohne Perspektive, das Friedlichsein aber auch satt. Dann kommt es gerade recht, wenn israelische Soldaten schwere Geschütze auffahren und sie ein bisschen David und Goliath spielen können.
Hier die Soldaten, auf der anderen Seite Gruppen junger Araber - Steinhagel versus Wasseerwerfer und Tränengas.
Programmpunkt 3: Sabbat
Zurück in der Jerusalemer Altstadt ließen wir noch schnell eine Karfreitagsprozession auf der Via Dolorosa an uns vorbeiziehen, bevor wir uns nach einer kurzen Teepause in einem Schuhgeschäft zur Klagemauer aufmachten. Anja, die wir zufällig in der Stadt trafen, war von einem Juden zu einem öffentlichen Sabbatessen eingeladen worden, am Eingang der Klagemauer wollten wir uns treffen. Wir beobachteten ernste Juden mit großen, schwarzen Hüten oder Pelzmützen, die zum Gebet eilten und Gruppen von Teenagern, die singend im Kreis tanzten. Einen Mann, der uns zum Sabbatessen begleiten sollte, fanden wir nicht.
Riesenparty an der Klagemauer: Überall wird gesungen und getanzt.
Hungrig und durchgefroren landeten wir schließlich in einer Art Armenküche, die uns herzlich empfing und bei der wir neben obdachlosen Jüdinnen (von den Männern trennte uns ein Sichtschutz) schweigsam unser Sabbatmahl einnahmen. Die Frauen waren nicht gerade zum Plaudern aufgelegt, eine Russin machte uns klar, dass sie ihre Lebensgeschichte lieber für sich behalten wolle: Allen war das Essen wichtiger als ein Gespräch mit uns. Die Reste, die wir aufgrund der großen Portionen liegen ließen, packten die Frauen emsig in ihre Plastiktüten. Mir wurde durch dieses kurze Erlebnis einmal mehr bewusst, dass die Israelis noch ganz andere Probleme zu lösen haben als das, was mit den Palästinensern geschieht. Denn was interessiert es obdachlose Jüdinnen oder arme Schriftgelehrte, ob Bethlehem eingemauert wird oder nicht? Ihnen geht es in erster Linie darum, ihr eigenes Leben in den Griff zu kriegen und nicht, ob Palästinenser, mit denen sie wohl kaum in Kontakt kommen, die Möglichkeit haben im Land zu leben wie Israelis auch.