Mittwoch, 30. März 2011

Bäume pflanzen zum Land Day

Am Palestinian Land Day gedenken Palästinenser weltweit dem 30. März 1976, als die israelische Regierung ankündigte, Tausende Dunums palästinensischen Landes (ein Dunum bezeichnet die Fläche, die ein Mann an einem Tag pflügen kann und entspricht etwa 1000 m²) zu enteignen. Daraufhin riefen Palästinenser zum Generalstreik auf, sechs Araber wurden von der israelischen Armee getötet, etwa hundert verletzt und weitere hundert gefangen genommen.


Landschaft nahe Husan

Jedes Jahr zum Land Day gibt es zahlreiche Aktionen, die helfen palästinensisches Land zu schützen, das ständig bedroht ist vom Siedlungsbau. Denn laut osmanischem Gesetz, auf das sich Israelis im Westjordanland berufen, steht Land, das zehn Jahre lang brach liegt, der Allgemeinheit zur Verfügung. Genauso gilt ein Feld oder eine Plantage als öffentlich, wenn die Fläche drei Jahre lang nicht bearbeitet wurde. Für den Siedlungsbau sind das gute Voraussetzungen: Palästinensischer Häuser werden abgerissen, weil Baugenehmigungen fehlen, Setzlinge auf den Feldern werden entwurzelt, um freie, vermeintlich verlassene Flächen zu schaffen, die wiederum als Bauland dienen.



Die lila eingefärbten Flächen sind jüdische Siedlungen, Husan befindet sich westlich von Bethlehem und ist eines der letzten arabischen Dörfer in der Umgebung

Der kleine Ort Husan liegt westlich von Bethlehem und hat den Siedlungsbau, der in den 80er Jahren begann, als einziges von drei Dörfern überlebt. 1985 wurde hier Betar Illit gegründet, mit etwa 25 000 Einwohnern die zweitgrößte jüdische Siedlung im Westjordanland. Der Großteil der Bewohner sind ultraorthodoxe Juden. Vor drei Jahren zerstörten sie Felder in der nächsten Umgebung, betroffen davon waren auch die Bauern von Husan.



Der Landbesitzer hilft beim Pflanzen, im Hintergrund erhebt sich mitten im arabischen Chaos die absurd ordentliche Siedlung Betar Illit

Zum Land Day folgten heute deshalb eine Reihe von palästinensischen und internationalen Freiwilligen dem Aufruf der Organisation Holy Land Trust und zogen los, um auf dem freien Feld Olivenbäume zu pflanzen.


Kollektives Pflanzen von Olivenbäumen als Zeichen gewaltlosen Widerstandes


Ein jüdischer Journalist erklärt seine Sicht der Dinge

Dienstag, 29. März 2011

A propros Maurerberuf

Am Sonntag waren wir in Jerusalem um gleich hinter der Klagemauer den Tempelberg zu besuchen.


Wir stellten uns in eine Reihe mit 200 anderen Besuchern und warteten darauf durch den Metalldetektor zu gehen. Ein Mann vor mir hatte in seinem Rucksack einen Flachmann, so einen wie es die bei Netto an der Kasse, direkt neben den Schokoriegeln und den Kaugummis, gibt. Hinter uns hatten sie Rucksäcke mit Saugschläuchen wie aus dem Film „127 Hours“.


Die Saugschlauchfraktion kam ohne Probleme durch die Kontrolle, der Mann mit dem Flachmann aber fiel durch.


„Was isn da drin?“

„Aqua!“

„Aquawas?“

„Aquavit.“

„Nee, du kommst hier nicht rein, basta!“


So schlich sich der Mann also wieder davon.


Der Felsendom in seiner Pracht, rein dürfen nur Muslime, um ihn herumlaufen dürfen auch die Touristen


Drinnen oder oben drauf war es schön. Das Gelände des Tempelberges entpuppte sich als eine Art Park, in denen Muslime picknickten, diskutierten oder Fußball spielten. Bis plötzlich alle Kinder aufhörte dem Ball hinterher zu hecheln, denn einer der Jungs hatte etwas viel Aufregenderes entdeckt, etwas was ihn in Zukunft immer häufiger vom Ballspielen ablenken wird. Er hatte etwas entdeckt, was eigentlich auf die Baustelle oder zu einem Weight-Watcher-Teffen gehört, aber auf keinen Fall etwas, was die Menschen an der drittheiligste Stätte nach Mekka und Medina erwartet hätten: Das Maurerdekolletee einer Amerikanerin. Völlig unbehelligt saß sie in der Sonne und biss in ihr Erdnussschinkencheesesandwich, während die Jungs damit begannen um sie herum zu schlendern und zu lachen.



Als schließlich einer der Jungs sich hinter sie setzten, wurde es uns zu viel. Mit viel Mut, den braucht man bei solch einem Vorhaben, sprach Susanne die Dame an, um sie davon in Kenntnis zu setzen, dass der ganze Islam gerade in diesem Moment auf ihre Ritze starre. Die Frau aber muss sich in einer Art Sonne-Erdnussschinkencheesesandwich-Trance befunden haben, denn sie lächelte nur und ließ die Hose da, wo sie hing.

Montag, 28. März 2011

Ein Leben danach

In meinem nächstem Leben werde ich Maurer in Israel,
die halten es hier wie der italienische Fußball:
Mauern, mauern, mauern.

Sonntag, 27. März 2011

Die Flüchtlinge und ihr Schlüssel zum Glück

1948 und nach dem Sechstagekrieg 1967 flohen Hunderttausende Palästinenser aus ihrer Heimat. Viele von ihnen leben heute im Libanon, in Jordanien oder in anderen arabischen Ländern in Flüchtlingscamps, die zwar längst keine Zeltstädte mehr sind, aber deren Charakter sich stark von den einheimischen Vierteln der Städte unterscheidet. In den meisten Ländern bilden Palästinenser eine Minderheit, außer in Jordanien haben sie keine staatsbürgerlichen Rechte.

In und um Bethlehem im Westjordanland gibt es drei solcher Flüchtlingslager: Daheishe, Beit Jibrin und Aida, in dem auch ich untergekommen bin. Äußerlich unterscheiden sich die Camps von den anderen Stadtvierteln vor allem durch ihre engen Gassen und die dicht an dicht gebauten Häuser.

Der Eingang zum Aida Camp


Etwa 5000 Menschen leben im Aida Camp, die meisten sind jünger als 25. Alle Bewohner haben Zugang zu Wasser und Strom, dafür sind die Straßen kaputt, überall liegt Müll, Abwasserkanäle sind nicht besonders gut ausgebaut. Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) nennt als eines der größten Probleme im Aida wie auch in anderen Camps die hohe Arbeits- und Perspektivlosigkeit: 43 Prozent der Bewohner haben keine Arbeit.

Trotzdem begegnen wir in unserer nächsten Umgebung keinen hoffnungslosen Menschen. Im Gegenteil: Die Leute sind freundlich, offen und hilfsbereit. Bei unseren Nachbarn waren wir abends schon oft zu Besuch und auch die Frauenparty von letzter Woche fand bei einer netten Bewohnerin des Aida Camps statt.


Die Palästinenser hier haben etwas gemeinsam, was sie stärkt: Sie alle mussten irgendwann ihre Heimat verlassen, Dörfer, die heute oftmals nicht mehr existieren. Der Handala-Erfinder Naji al-Ali wurde beispielsweise in dem ehemals palästinensischen Dorf al-Schajara geboren, an dessen Stelle mittlerweile die jüdischen Siedlung Ilaniyya steht.

Der Schlüssel als Symbol für palästinensische Flüchtlinge, hier ein Eingang zum Aida Camp


Die Liste ehemaliger palästinensischer Dörfer, die aus unterschiedlichen Gründen den Israelis weichen mussten, ist lang, Wikipedia listet etwa 500 Namen auf. Und obwohl die Vertreibung vor Jahrzehnten stattgefunden hat und nachfolgende Generationen längst an einem anderen Ort leben, führen die vertriebenen Menschen und deren Nachfahren ein Leben auf Abruf und bestehen auf ihrem Recht zurückkehren zu dürfen, das von Israel bis heute abgelehnt wird. Egal, ob ihr Haus noch steht oder ob sie ihr Heimatdorf je mit eigenen Augen gesehen haben - die Palästinenser im Flüchtlingscamp besitzen alle mit großer Sicherheit noch den einen Schlüssel, der für sie symbolisiert: Eines Tages werden wir nach Hause zurückkehren.

Samstag, 26. März 2011

Nichtstun im Sonnenschein

Ja, tatsächlich. Es gibt Tage, an denen einfach nichts los ist, keine Bomben, keine Tränen, kein Entsetzen, keine heißen Diskussionen über politische Themen - einfach mal nichts. Heute war so ein Tag. Er begann spät mit gutem Frühstück, plätscherte vor sich hin, als wir uns nach drei kalten Regentagen in Folge im Sonnenschein auf dem Dach ausstreckten, um später ein bisschen durch die Stadt spazieren - ein Sandwich hier, ein Orangensaft dort.


Die Altstadt Bethlehems im Sonnenschein

Na gut, ein bisschen Politik war dann doch dabei. Denn die palästinensische Jugend schläft nicht etwa, seit sie vor knapp zwei Wochen auf die Straße ging, um für Einheit zwischen Fatah und Hamas zu demonstrieren.



Die Demonstrationen für palästinensische Einheit gehen weiter, wie hier auf dem Krippenplatz in Bethlehem

Seit dem 15. März steht auf dem zentralen Platz Bethlehems (wie auch in anderen Städten Gazas und des Westjordanlands) ein Zelt, in dem mehrheitlich Studenten ausharren und mit Aktionen auf ihr Anliegen aufmerksam machen. Heute tanzten Jugendliche Dabka, den traditionellen Tanz Palästinas, später gab es Filmvorführungen. Wir verzichteten allerdings auf zu viel Politik und kehrten lieber in ein nettes Café ein, um über Belangloses zu plaudern. Auch schön.


Ein Dabka-Tänzer nach seinem Auftritt

Freitag, 25. März 2011

Checkpoint 300

So heißt der Durchgang von Bethlehem in Richtung Jerusalem. Als ich ihn heute morgen gegen fünf passieren wollte, um Marc entgegen zu gehen (der übrigens wohlbehalten angekommen ist), war ich erstaunt, so wenige Menschen zu sehen. Ich hatte irgendwie mehr Trubel erwartet, Vordrängler und Streit, aber es ging zügig und so gesittet vor, dass Männer mir den Vortritt ließen, obwohl ich es offensichtlich nicht so eilig hatte zur Arbeit zu kommen wie sie.

Der Eingang zu Israel, das hinter der Mauer offiziell noch gar nicht beginnt

Den Checkpoint zu passieren mitsamt aller Unannehmlichkeiten (Gürtel aus, Schuhe aus, Jacke aus, Taschen leeren, alles durch den Scanner schieben und hinterher zügig wieder anziehen, damit niemand warten muss) ist offenbar zur Routine geworden. Genauso wie der demütigende Moment, in dem die Frauen und Männer auf die Gnade des Soldaten angewiesen sind, der gelangweilt in seinem Glaskasten sitzt und sich die Ausreisegenehmigungen anschaut, die vor seiner Nase an die Scheibe gepresst werden: Ein prüfender Blick, ein Näherkommen, um alles ganz genau anzuschauen und dann, fast ein bisschen enttäuscht, ein kurzes Kopfnicken - hau schon ab.


Bethlehems Nachbardörfer im Sonnenaufgang

Als wir schließlich gegen sieben zurück nach Bethlehem gingen, standen die Palästinenser so dicht gedrängt, dass ich den Weg kaum noch fand. Ein Mann, den ich fragte, wo der Gang nach Bethlehem sei, schaute mich kurz ungläubig an, vergewisserte sich noch einmal, ob ich wirklich nicht nach Jerusalem raus wolle, sondern rein nach Bethlehem, und deutete dann auf den Ausgang. Komische Fremde, muss er sich gedacht haben. Während wir alles versuchen, um in Richtung Israel zu kommen, spazieren die beiden sorglos in die andere Richtung gen Bethlehem. Und da sind wir nun wieder.

Bethlehem-Besucher, die den Checkpoint passiert haben, führt der Weg auf der anderen Seite zuallererst durch diesen Gitterkäfig.

Donnerstag, 24. März 2011

Bethlehem ist nicht Jerusalem

Vielleicht klingt das seltsam, aber mich hat der Anschlag in Jerusalem fast genauso wenig berührt, wie wenn ich in Deutschland aus dem Fernsehen davon erfahren hätte. Ich saß zu der Zeit im Büro in Bethlehem, dachte an Anja und ihre Mutter, die gerade in Jerusalem waren und an Moritz, der seinen Bruder zum Flughafen bringen wollte und fast eine der Buslinien genommen hätte, die am Ende schwer beschädigt auf dem Busbahnhof standen. Das Netz war belegt, wir konnten keinen der beiden sofort erreichen, trotzdem machte ich mir keine großen Sorgen - was für ein Zufall, wenn gerade sie es getroffen hätte.

Auch am Abend, als wir bei einer befreundeten Palästinenserin zu einer Frauenparty eingeladen waren und dort in die Runde fragten, was sie und ihr Mann zum Anschlag sagten, gab es erst einmal eine längere Pause, in der sie ihre Gedanken sammelten. Ich glaube, so richtig kam bei niemandem an, dass nach drei Jahren relativer Ruhe plötzlich wieder eine Bombe explodiert ist, dass Menschen verletzt wurden und eine Frau sogar starb.

Vielleicht denken die Menschen im Westjordanland auch erleichtert, sie seien nicht betroffen. Immerhin waren es vor allem Juden, die diese eine Buslinie benutzten, Araber benutzen ihre eigenen klapprigen Minibusse. Auch ich fühle mich hier weiterhin sicher, der Alltag in Bethlehem geht weiter, die Leute hier haben andere Probleme als eine Bombe in Jerusalem - da können sie von hier aus sowieso nicht ohne Weiteres hin.

Trotzdem hoffe ich natürlich, dass sich der Vorfall nicht wiederholt und dass diese winzige Hoffnung auf Einigung zwischen Fatah und Hamas, die durch die Demonstrationen junger Palästinenser am 15. März hervorgerufen wurde, nicht durch neue Gewalt begraben wird.

Gaza ist schon seit ein paar Tagen wieder Ziel israelischer Bomben, die wiederum auf Raketen und Mörsergranaten antworteten. Acht palästinensische Zivilisten wurden in den letzten Tagen getötet, nach heutigen israelischen Angriffen auf Gaza gab es drei Verletzte.

Ein Korrespondent von n-tv schreibt dazu:

Die Raketenangriffe auf Israel sind offenbar Ablenkungsmanöver der Hamas, um vom eigenen Unterdrückungsregime abzulenken und Israel zu provozieren. Die Weltgemeinschaft täte gut daran, bei den Vorgängen in Gaza nicht wegzuschauen und zu schweigen.

Mittwoch, 23. März 2011

Neue Bekanntschaften

Durch die amerikanische Menschenrechtsbeobachterin Loren, die am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) teilnimmt und die wir einen Tag lang begleitet haben, schlossen wir Bekanntschaft mit der Familie eines Schäfers in Tekoa, einem Dorf nahe Bethlehem.

Tekoa, Geburtsort des Propheten Amos

Loren und ihr Team haben die Aufgabe, Palästinenser und Israelis zu begleiten, am Checkpoint oder in anderen Situationen, in denen ihre gewaltlose Anwesenheit helfen könnte, indem sie zum Beispiel Verstöße gegen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht melden. Zuletzt wurden Loren und ihre Kollegin nach Tekoa gerufen, um dort Schulkinder auf ihrem Weg zu begleiten. Israelische Soldaten und Schüler stoßen dort regelmäßig aufeinander, die einen werfen Steine, die anderen antworten mit Tränengas. Loren erzählt von diesen Erlebnissen auf ihrem Weblog.

Oben auf dem Hügel wohnt der Schäfer Mahmoud mit seiner Frau, den beiden Söhnen und deren Familien

In einem einsamen Haus auf dem Hügel von Tekoa wohnt außerdem besagte Familie des Schäfers, deren Schafherde vor zwei Jahren unter mysteriösen Umständen umgekommen ist. Offenbar sei das Gras vergiftet gewesen, erzählt Fatima, die Schwiegertochter des Schäfers. Wer für das Unglück verantwortlich ist, weiß niemand. Allein der Umstand, dass direkt neben dem Haus des Schäfers Mahmoud eine israelische Siedlung hochgezogen wurde, deren Bewohner offenbar stark daran interessiert sind, Mahmouds Land zu kaufen, lässt Schlimmes erahnen. Das erste Haus der Familie wurde bereits zerstört, mittlerweile hat Mahmoud zusammen mit seinen Söhnen Youssef und Mohammed ein neues gebaut. Zwei siebenköpfige Familien und die Großeltern kommen nun in den zwei Wohnräumen unter und hoffen darauf, dass sie noch einen weiteren Raum anbauen dürfen.


Mahmoud und seine Frau, in der Mitte Sohn Mohammed mit Kindern, Neffen und Nichten

Doch die offensichtliche Armut der Familie lässt sie nicht verzagen. Fatima lädt uns freundlich ein, auf einen Tee zu bleiben, später serviert sie frisch gebackenes Brot und Schafskäse. In Brocken auf Arabisch und Englisch erzählen wir uns unsere Geschichten. Die 24-Jährige hat vor neun Jahren geheiratet, seitdem fünf Kinder bekommen und nebenbei irgendwie auch noch ihren Schulabschluss geschafft. Ihre Mädchen wuseln um uns herum, kichernd zeigen sie uns ihre Puppen und Schulhefte und schließen Freundschaft mit uns.

Fatima mit ihren neuen Freundinnen, Anja und Alena

Als wir schließlich zum Aufbruch bereit sind, ein Kilo Schafskäse im Gepäck, den wir wissentlich für einen überhöhten Preis gekauft haben, kommen Mahmoud und seine Frau, die Ältesten der Familie nach Hause. Das Teeritual wiederholt sich, auch Brot und Schafskäse kommen noch einmal auf den Tisch und zum Abschluss reicht mir Mahmoud eine Zehn-Schekel-Münze. Es sei haram, Sünde, einen zu hohen Preis für den Käse zu verlangen, sagt er. Das ist wahre Freundschaft.

Dienstag, 22. März 2011

Begegnungen an Rahels Grab

Außerhalb der eingekeilten Stadt Bethlehem befindet sich (auf palästinensischem Gebiet) Rahels Grab, das für Juden, Christen und Muslime gleichermaßen heilig ist. Jakobs Lieblingsfrau Rahel liegt dort begraben.

Rahel starb, und Jakob begrub sie dort an der Straße nach Efrata, das jetzt Betlehem heißt. Er stellte auf ihrem Grab einen Denkstein auf; der steht dort noch heute als Grabmal Rahels. (Gen 35,20)

Um zum Grab zu gelangen, muss man durch den Checkpoint Bethlehem verlassen und dann an der Mauer entlangehen, bis israelische Soldaten einen aufhalten mit der Begründung, das Gehen durch die Anlage gefährde die Sicherheit. Die Lösung: Für die restlichen hundert Meter einen Bus bezahlen oder auf ein Privatauto warten, das einen freundlicherweise vor die Tür des Grabes bringt.

Um zum Grab zu gelangen, muss man durch die Betonschluchten fahren - Gehen ist verboten


Am Grab selbst ist nicht viel zu sehen. Männer dürfen in dem Schrein offenbar ein- und ausgehen, während Frauen sich in einen mit Stellwänden abgesperrten engen Gang quetschen. Es ist eine eigenartige Situation die Frauen zu sehen, wie sie weinend ihr Gesicht an die Heilige Schrift pressen, unablässig Gebete oder Bibelverse vor sich hin murmelnd.

Muslimen ist der Besuch der heiligen Stätte seit 1994 verboten, auch Touristen werden anscheinend nicht immer hineingelassen - wir haben Glück und dürfen uns das Grab ansehen.

Viel interessanter als Rahels Grab allerdings ist seine Atmosphäre: Eingeschlossen von zwei Betonmauern erinnert die Umgebung an eine Tiefgarage, das Gehetze von ultraorthodoxen in Schwarz gekleideten Juden mit einer Kopfbedeckung aus rundem Pelz, die mit vorgehaltener Hand an allen Frauen vorbeihetzen, um sie ja nicht ansehen zu müssen, macht die Situation nicht besser.


Eine jüdische Familie verhandelt den Preis für ein Taxi, das sie wieder hinausbringen soll


Wir fragen bei einer israelischen Reisegruppe an, ob der Bus uns aus diesem einbetonierten Platz herausfahren kann. Kann er nicht, es sitzen nur Juden drin, die unsere Anwesenheit als beschämend empfinden würden. Zwei weitere Touristinnen warten feixend mit uns. Eine streckt provozierend ihren Arm aus und berührt einen Juden, der gerade in den Bus einsteigen will, am Arm: "Excuse me, would you take a photo with me?" Der Mann bleibt stocksteif stehen, der Busfahrer erklärt versöhnlich, der Jude dürfe nicht mit der Frau reden.

Die Touristin, eine Serbin, die mit ihrer albanischen Freundin für einen zweiwöchigen Urlaub nach Israel gekommen ist, empfindet das als Beleidigung. Schon auf dem Hinflug, erzählt sie, seien die beiden am Flughafen gefilzt worden. Die Israelis fanden ihren Namen, Jasmin, verdächtig, weil auch arabische Frauen so heißen. Genauso mussten die beiden Freundinnen erklären, warum sie unterschiedliche Pässe haben, aber in Tschechien wohnen. Jasmin versuchte es mit einem nachvollziehbaren Beispiel: "You know, sometimes people from different countries that were ennemies become friends - like Palestinians and Israelis could be friends." Die knappe Antwort der Beamtin: "We aren't friends."

Möglicherweise provozierten die beiden Freundinnen die israelischen Beamten am Flughafen noch zusätzlich. Vor einem Inlandsflug von Elat nach Tel Aviv bekamen sie die israelische Rache zu spüren: Bis auf die Unterwäsche mussten sie sich ausziehen, Jasmins Freundin sollte ihr Passwort für den Computer herausgeben, wenn sie nicht den Flug verpassen wolle.

Die Serbin ist aufgebracht. Nach Israel, sagt sie, werde sie nicht so schnell zurückkehren. Die Beschwerdebriefe an Botschaften und Fluggesellschaft haben die beiden bereits geschrieben. Eine solche Demütigung wollen sie nicht so einfach durchgehen lassen. Und das nur, weil sie es wagten, auch die palästinensischen Gebiete besuchen zu wollen und den israelischen Standpunkt nicht vollkommen zu unterstützen.

Montag, 21. März 2011

Gebetserhörung

Eher zufällig stehen wir eines Tages vor dem griechisch-katholischen Immanuel-Kloster nahe der Mauer. Ein von Nonnen organisiertes Gebet soll hier in Checkpoint-Nähe stattfinden, aber Nonnen gibt es in Bethlehem viele und die Schwestern aus dem Immanuel-Kloster haben nichts damit zu tun. Trotzdem empfangen sie uns freundlich in ihrem bescheidenen Heim.


Direkt neben der Mauer steht das Immanuel-Kloster, das von sieben Schwestern bewohnt wird


Eine österreichische Schwester, die als einzige in der siebenköpfigen Gemeinschaft deutsch spricht, erzählt uns von dem Leben im Kloster und unweigerlich führt das Gespräch auch zur Mauer, die gerade so am Klostergarten einen Knick macht. Wie es dazu gekommen sei? „Eigentlich sollte die Mauer direkt durch den Garten gebaut werden“, so die Österreicherin. Täglich hätten die Schwestern gebetet, Menschen demonstrierten gegen die Mauer im Garten und tatsächlich wurden die Baupläne geändert und der Klostergarten verschont.


Eine Ikone der Jungfrau Maria an der Mauer erinnert unter anderem daran, dass das Kloster der Schwestern unversehrt blieb

Erst vor Kurzem erfuhren die Schwester, dass ein Diplomat vor Ort den Bau der Mauer durch den Garten verhindert hatte. Auf seine Anordnung hin, den Garten des Immanuel-Klosters zu verschonen, sei der Verlauf des Betonwalls geändert worden. „Ein Gebet, das schon erhört wurde, bevor die ganzen Demonstrationen gegen den Mauerbau begonnen hatten“, sagt die Schwester dankbar.

Sonntag, 20. März 2011

Karneval auf Jüdisch

Den Kölner Karneval mag ich in diesem Jahr verpasst haben, aber was wir gestern in Tel Aviv erlebt haben, kommt schon ziemlich nah an die Kölner Riesenparty ran: In Gedenken an Königin Ester, die das jüdische Volk vor dem Tod bewahrt hat, feiern die Juden heute (und eigentlich auch schon gestern und vorgestern) Purim.



Trauern ist bei diesem Fest offiziell verboten, deshalb ziehen sich die Israelis lustige Klamotten an und feiern überschwänglich Tag und Nacht. Von den Balkonen der Häuser im Florentin-Viertel dröhnen die Bässe, jeder Block hat seine eigene Musikrichtung von Techno bis Reggae und unten wabert die Masse, fröhlich und ausgelassen. Wir haben uns die Party selbstverständlich nicht entgehen lassen.



Von den Balkonen dröhnt Musik, unten wird getanzt und gefeiert



Eines der kreativsten Kostüme: Die Dusche



Auch Hunde werden für Purim fein gemacht - hier: Ein kleiner Shrek



Ein Imbiss zwischendurch...


... ein paar Minuten Ruhepause...


... und weiter geht die Party

Donnerstag, 17. März 2011

Urlaub

Zwischendurch ein freier Tag ohne Gespräche über Politik, das müsste doch auch mal möglich sein. Wir verbrachten ihn am Toten Meer. Allein drängte sich der Konflikt auf dem Weg dorthin schon wieder zwangsläufig auf: Von Bethlehem ging's nach Jericho, dann mit dem Taxi weiter zum nördlich gelegenen Kalia Beach. Dieser gehört zu einem Kibbuz, der nicht etwa aus einer illegal gebauten Siedlung entstanden ist, sondern ganz offiziell da ist. Warum, so mitten im Westjordanland? Weil das Gebiet rund ums Tote Meer zur Zone C gehört, die gänzlich unter israelischer Kontrolle steht. Praktisch, wo doch der Strand so viele Besucher anzieht.



Vorne das Tote Meer, im Hintergrund die Berge Jordaniens


Davon abgesehen ließen wir alle Konflikte für den Rest des Tages links liegen und machten uns einen faulen Strandtag, inklusive Schlammbad und Touristen beobachten, die nacheinander in Gruppen aus den Bussen gespuckt wurden und sich lärmend in die salzige Suppe stürzten.


Rein ins Badevergnügen: Erst die Japaner, dann die Österreicher und Amerikaner


Eine deutsche Reisegruppe nahm uns schließlich freundlicherweise mit zurück in Richtung Jerusalem, inklusive Fotostopp im Wadi Qilt, einem beeindruckenden ausgetrockneten Flussbett, in dem man schön wandern kann, aber auch aufpassen muss: Im Sommer wegen der Hitze, im Frühjahr wegen plötzlicher Sturzbäche, von denen der deutsche Reiseführer sehr eindrücklich erzählte: Seine Frau sei mit Freundinnen („viele davon kennt ihr sogar, die Monika Pröber war dabei, die Gabi Steiner war dabei“) unterwegs gewesen und tatsächlich von einem der gefährlichen Sturzbäche überrascht worden. Eine der Frauen (War es die Monika? Oder war es die Gabi?) wurde von einem herabstürzenden Felsblock von der restlichen Gruppe getrennt, alle hatten große Angst. Doch die australische Ehefrau des Reiseführers („Ihr kennt sie ja, wie sie so ist.“) überlegte sich einen Rettungsplan: „Die Frauen zogen sich aus, bis aufs Höschen, knoteten die Kleidungsstücke zusammen und konnten so ihre Reisegefährtin retten.“ Eine muntere Geschichte, die genau bis zum Parkplatz am Wadi Qilt dauerte, wo schon Beduinen mit Tüchern und Schmuck warteten. („Da könnt ihr ruhig was kaufen, das sind gute Leute und schöne Sachen.“)


Das Wadi im Vordergrund, hinten, in der Abendsonne, die Berge Jordaniens


Erfrischend, so ein Tag Urlaub zwischendurch.

Mittwoch, 16. März 2011

Palästinensische Geld-Kampagne

Falls die Nachricht noch nicht nach Deutschland durchgedrungen ist, hier ein paar Infos dazu:


Junge Palästinenser haben über das soziale Netzwerk Facebook dazu aufgerufen, Geldscheine mit den Worten „Free Palestine“ zu versehen. Mit den Gründern der Facebook-Seite „Write on Coin Free Palestine“ konnte ich über die Beweggründe sprechen.


Ziel der Aktion: Auf die Situation Palästinas aufmerksam zu machen - ein Gebiet, von dem kaum jemand mehr weiß, als dass dort manchmal Bomben fliegen. Ihre Kampagne ist friedlich, darauf legen die beiden Aktivisten aus Ramallah großen Wert. „The idea of 'Write Free Palestine on Israeli paper money Campaign' stems from our firm belief in non-violent national resistance. Through this campaign, we express our resistance to the Israeli occupation and its unjust policies towards Palestinians“, schreiben die beiden auf ihrer Facebook-Seite.


1548 unterstützen diese Seite mittlerweile, andere Aktivisten haben ähnliche Facebook-Gruppen gegründet.


Während sich der erste Aufruf vor allem auf israelische Schekel-Scheine beschränkte, die auch in den palästinensischen Gebieten genutzt werden, hat sich die Aktion nun auf mehrere Länder ausgeweitet: Menschen aus aller Welt unterstützen mittlerweile die Aktion und haben Fotos von ihren beschrifteten Geldscheinen geschickt, unter anderem aus Ägypten und Saudi-Arabien, aus Mexiko und aus der Ukraine.


Auch zahlreich Euros wurden schon beschriftet. Ihre Gültigkeit verlieren sie durch die Beschriftung nicht: „Solange der Wert des Geldes sichtbar bleibt und die Sicherheitszeichen nicht beschädigt werden, behält das Geld seinen Wert“, teilte eine Sprecherin der Europäischen Zentralbank mit. Israelische Banken sehen das anders. Zwar könne es versehentlich passieren, dass auf Geld geschrieben werde, so ein Sprecher der Bank of Israel, „aber formell ist es illegal Scheine zu beschriften.“ Ob das Beschriftungsverbot auch von der Art der Botschaft abhängt, konnte oder wollte er dabei nicht sagen.


Dienstag, 15. März 2011

Keine Revolution, aber ein guter Anfang

Etwa 3000 Menschen versammelten sich heute in Ramallah, um friedlich für nationale Einheit zu demonstrieren. Singend und klatschend, Parolen skandierend und Fahnen schwenkend standen die Demonstranten dicht gedrängt auf dem zentralen Al-Manara Platz, dazwischen wuselten Verkäufer mit Tee und Gebäck. Es war eine schöne Atmosphäre, keine Spur von Aggressionen oder Auseinandersetzung.

Etwa 3000 Demonstranten fanden sich in Ramallah zusammen...

...und riefen Fatah und Hamas zur Einigung auf

Montag, 14. März 2011

Frühling

Auf dem Dach des Wohnhauses den Einbruch der Dämmerung beobachten, wie Lichter ringsherum aufleuchten, im Rücken den Ruf des Imams zum Gebet. Da kommt, obwohl der Ruf von der Mauer mit ihren Wachtürmen widerhallt, für einen Augenblick das Gefühl von Frieden auf.

Arabischer Worship

Etwa zwei Millionen der Palästinenser im Westjordanland sind Christen, das macht knapp acht Prozent der Gesamtbevölkerung aus. In Bethlehem gibt es unzählige Kirchen, prächtige Bauten wie die Geburtskirche, die für sich beansprucht am genauen Geburtstort Jesu gebaut worden zu sein, und unscheinbarere Gebäude, die lediglich durch windschiefe Kreuze erkennbar sind. Uns hat es in den noch unscheinbareren Kellerraum eines Hauses verschlagen. Wer nicht weiß, dass hier eine Kirche ist (Tipps gibt es zum Beispiel in der christlichen Buchhandlung nebenan), wird sie in ihrem Geheimversteck auch nicht finden.

Es sind Baptisten, die sich hier regelmäßig treffen, am Sonntagmorgen für den Gottesdienst, donnerstags für Gebet und Lobpreis. Wir steigen mit Lobpreis ein, in der Hoffnung, einige bekannte englische Lieder zu hören und mitsingen zu können. Doch die Gemeinde besteht fast ausnahmslos aus Palästinensern und womöglich ist hier das Singen von fremdländischen Liedtexten ebenso verpönt wie in manchen Kirchengemeinden Deutschlands.

Worte aus Psalm 103 an der Wand: "Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat."

Gebet, Andacht, Lieder und der Segen wird auf Arabisch gesprochen, die Heilige Schrift auf Arabisch liegt griffbereit an jedem Platz. Die Stunden des Lobpreises laufen in etwa so ab, wie ich sie auch schon in Deutschland erlebt habe: Klaviermusik untermalt die Worte des Predigers, eingängige Liedzeilen werden so oft wiederholt, dass ich fast mitsingen kann und in der ekstatischen Predigt höre ich einige Worte so häufig, dass ich nun neue, lebenswichtige Worte in meinem Vokabelheft stehen habe: Freiheit, Vergebung, Gnade, Herrlichkeit.

Samstag, 12. März 2011

Ein Freitag in Jerusalem

Freitag ist frei. Das gilt für Muslime wie auch zur Hälfte für die Juden, denn der Sabbat beginnt am Freitagnachmittag. Wir fuhren deshalb nach Jerusalem, um ein bisschen auf Tourismus zu machen. So der Plan.


Programmpunkt 1: Checkpoint.

Zwei Buslinien fahren von Bethlehem aus nach Jerusalem. Die eine umfährt den Checkpoint und startet etwas weiter entfernt von unserem Wohnviertel, die andere Linie fährt erst hinter der Mauer los. Wir entschieden uns für letztere Variante und passierten den Checkpoint. Vor uns warteten schon einige Menschen, es ging nur langsam voran. Ich malte mir zwischendurch aus, was wohl passieren würde, wenn ein Feuer oder ähnliches eine Massenpanik auslösen würde – man käme nicht weg. Eingezwängt in der Menschenschlange, die von Metallgittern zum Checkpoint geleitet wird, hätte man keine Möglichkeit, nach draußen zu kommen. Eine beängstigende Vorstellung.


Am Checkpoint entscheiden Israelis, wer wann rüber darf.


Auf der anderen Seite der Mauer trafen wir auf drei Israelinnen der Organisation Machsam Watch, die täglich an verschiedenen Checkpoints das Verhalten von Soldaten gegenüber den wartenden Menschen dokumentieren. Ihre Anwesenheit war den Soldaten erkennbar unangenehm und bald wurden sie aufgefordert, mehr an den Rand zu gehen und sich nicht in die Diskussion mit einem Palästinenser einzumischen, dessen Tochter ohne Ausnahmegenehmigung nicht auf die andere Seite gehen durfte. „Go home“, sagte der Soldat zu ihm. Pech gehabt.


Programmpunkt 2: Silwan

Silwan ist ein Jerusalemer Viertel südöstlich der Altstadt. Hier befindet sich die Davidsstadt, der älteste Teil Jerusalems. Vor 3000 Jahren soll König David das Gebiet erobert haben, 1850 wurden die ersten Ausgrabungen gemacht, bis heute wurde aber noch nicht alles freigelegt. Das soll nun wohl passieren, bloß stehen auf dem Gebiet Häuser von Muslimen, die das Viertel bewohnen. Und die wollen nicht weg. Unter anderem deshalb finden in Silwan regelmäßig Kämpfe zwischen Muslimen und der israelischen Armee statt, pünktlich nach dem Freitagsgebet beginnt die Schlacht. Mich erinnerte die Szene ein bisschen an den 1. Mai in Berlin: Hauptsächlich junge Männer bewarfen die Soldaten mit Steinen, die Israelis antworteten mit Tränengas und Wasserwerfern. Eine friedliche Demonstration gegen den geplanten Abriss von Häusern hätte mir persönlich besser gefallen, vielleicht haben diese Männer, ohne Arbeit, ohne Perspektive, das Friedlichsein aber auch satt. Dann kommt es gerade recht, wenn israelische Soldaten schwere Geschütze auffahren und sie ein bisschen David und Goliath spielen können.



Hier die Soldaten, auf der anderen Seite Gruppen junger Araber - Steinhagel versus Wasseerwerfer und Tränengas.


Programmpunkt 3: Sabbat
Zurück in der Jerusalemer Altstadt ließen wir noch schnell eine Karfreitagsprozession auf der Via Dolorosa an uns vorbeiziehen, bevor wir uns nach einer kurzen Teepause in einem Schuhgeschäft zur Klagemauer aufmachten. Anja, die wir zufällig in der Stadt trafen, war von einem Juden zu einem öffentlichen Sabbatessen eingeladen worden, am Eingang der Klagemauer wollten wir uns treffen. Wir beobachteten ernste Juden mit großen, schwarzen Hüten oder Pelzmützen, die zum Gebet eilten und Gruppen von Teenagern, die singend im Kreis tanzten. Einen Mann, der uns zum Sabbatessen begleiten sollte, fanden wir nicht.



Riesenparty an der Klagemauer: Überall wird gesungen und getanzt.


Hungrig und durchgefroren landeten wir schließlich in einer Art Armenküche, die uns herzlich empfing und bei der wir neben obdachlosen Jüdinnen (von den Männern trennte uns ein Sichtschutz) schweigsam unser Sabbatmahl einnahmen. Die Frauen waren nicht gerade zum Plaudern aufgelegt, eine Russin machte uns klar, dass sie ihre Lebensgeschichte lieber für sich behalten wolle: Allen war das Essen wichtiger als ein Gespräch mit uns. Die Reste, die wir aufgrund der großen Portionen liegen ließen, packten die Frauen emsig in ihre Plastiktüten. Mir wurde durch dieses kurze Erlebnis einmal mehr bewusst, dass die Israelis noch ganz andere Probleme zu lösen haben als das, was mit den Palästinensern geschieht. Denn was interessiert es obdachlose Jüdinnen oder arme Schriftgelehrte, ob Bethlehem eingemauert wird oder nicht? Ihnen geht es in erster Linie darum, ihr eigenes Leben in den Griff zu kriegen und nicht, ob Palästinenser, mit denen sie wohl kaum in Kontakt kommen, die Möglichkeit haben im Land zu leben wie Israelis auch.

Donnerstag, 10. März 2011

Vitamin B

Neue Leute kennen zu lernen ist in Bethlehem eine Leichtigkeit. Immer wieder kennt jemand jemanden, der jemand anderen kennt, den man dann anrufen und treffen kann und wiederum darüber neue Kontakte knüpfen kann. Die neueste Bekanntschaft machte ich gestern am Journalistenbuffet von Hannelore Kraft, die in Beit Jala einer Fördereinrichtung für beeinträchtigte Menschen ein Fahrzeug spendete.

Drei Mitglieder des Städtepartnerschaftsvereins aus Bergisch Gladbach konnten sich kurzfristig noch unter die Journalisten mischen. Ihr Anliegen: Ein kurzes Wort mit Hannelore Kraft zur geplanten Städtepartnerschaft zwischen Bergisch Gladbach und Beit Jala und ein Foto mit ihr für die Zeitung. Hat geklappt.

Nachdem die Ministerpräsidentin mit dem Journalistenpulk gen Flughafen abgebraust war, blieben wir übrig und kamen darüber zwangsläufig ins Gespräch. Doro, selbst Journalistin, interessierte unsere Arbeit in der Redaktion und ich brachte sie und ihren Mann Werner mit ins Büro, wo wir schließlich selbst Teil eines Artikels wurden, der jetzt auf dem Bürgerportal von Bergisch Gladbach steht.

Die beiden luden uns außerdem ein, bei einem Vortrag über Machsom Watch teilzunehmen, der für die deutsche Reisegruppe organisiert worden war. Doch die Referentin sagte kurzfristig ab und so wurden Susanne und ich spontan zur Attraktion des Abends erkoren: Die Freiwilligen von Bethlehem.

Wir beantworteten Fragen zu unserem Leben in Bethlehem, zu unserer Arbeit und unseren Beweggründen, herzukommen und hörten umgekehrt von den Reisenden, was sie schon erlebt hatten und was sie beschäftigte. Es war ein Tag voller interessanter Begegnungen mit guten Gesprächen. Und selbstverständlich sind wir mit neuen Ideen und Kontakten nach Hause gegangen.

Mittwoch, 9. März 2011

Die Ökos von Beit Sahour

Sie bauen Mauern aus Glasflaschen, schlafen in Betten aus Lehm und Autoreifen, spülen mit Zitronen statt Chemikalien und besitzen ein Plumpsklo, das aussieht wie eine südamerikanische Cocktailbar. Vor drei Jahren gründeten Alice Gray und andere Öko-Aktivisten aus Großbritannien Bustan Qaraaqa, den Schildkrötengarten, ein Permakulturprojekt in Beit Sahour nahe Bethlehem.



Im Frühjahr blüht das Tal von Bethlehem. „Die Landschaft ist so vielfältig, man kann so vieles anbauen, es ist einfach wunderschön hier“, schwärmt Alice. Der Bustan Qaraaqa ist zuallererst ein landwirtschaftliches Experiment: Alice und mehrere wechselnde freiwillige Helfer aus dem Ausland probieren sich hier an unterschiedlichen Pflanzen aus – was wächst, bleibt, der Rest wird aussortiert. Wichtig ist den Ökologen dabei die Nachhaltigkeit beim Anbau. Spülwasser wird zum Bewässern der Pflanzen genutzt, mit den Abfällen der Komposttoilette wird gedüngt. Auch den Hausmüll verwenden die Bewohner des alten Bauernhauses weiter. Zusammengepresst in Autoreifen und mit Lehm bedeckt dient er als Schlafstätte für Besucher. Plastiktüten, gebügelt und bunt bemalt, hängen zur Dekoration an der Wand.

Das Plumpsklo in Cocktailbar-Optik, der Behang an der Tür besteht aus gebügelten Platsiktüten.


„Als wir das Projekt starteten, schien uns Permakultur das geeignete Instrument zu sein, weil man durch sie lernt, verantwortlich mit der Natur umzugehen“, erklärt Alice. Und genau das brauche Palästina: „Menschen im Westen können sich aussuchen, ob sie besonders ökologisch leben wollen oder nicht“, so die 30-jährige Britin. „Hier ist es eine Frage des Überlebens.“ Es gibt genug palästinensische Bauern, die von ihren Feldern vertrieben werden. Wer zurückkehrt, muss häufig ohne Wasser und Elektrizität auskommen. 250 000 Menschen, so Alice, seien von gekappten Wasserleitungen betroffen.


Vor drei Jahren hat Alice den Schildkrötengarten mit gegründet.


In Workshops für Schulklassen und andere Interessierte erklären die Öko-Aktivisten aus Beit Sahour deshalb unter anderem, wie man auf den Feldern und im täglichen Gebrauch Wasser sparen kann, umgekehrt geben Einheimische Tipps für die Arbeit auf dem Feld. „Manchmal lernen wir von Einheimischen mehr als wir von ihnen“, sagt Alice. Es ist ein ständiges Nehmen und Geben.

Finanziert wird das ökologische Projekt zu Hälfte von freiwilligen Helfer aus dem Ausland, die für Tage, Wochen oder Monate in den Bustan Qaraaqa von Beit Sahour kommen und mitarbeiten. Der Rest setzt sich aus Fördergeldern unterschiedlicher Vereine und Firmen zusammen.


Alles findet im Bustan Qaraaqa Weiterverwendung.


Alice gefällt es hier in dem alten, steinernen Bauernhaus. Sie mag das Leben in der Natur, die Arbeit auf dem Land, die Unabhängigkeit. Sie kann sich vorstellen, noch lang hier zu bleiben, möchte damit aber auch nicht rechnen. Denn: „Am besten ist es doch für ein Projekt, wenn es überflüssig wird, weil die Menschen seine Hilfe nicht mehr benötigen.“

Dienstag, 8. März 2011

Heute ist Internationaler Frauentag

Da wünsche ich doch allen Frauen nur das Beste!



Angaben der Generaldelegation Palästinas in der Bundesrepublik Deutschland zufolge lebten Ende des Jahres 2010 rund zwei Millionen Frauen in den palästinensischen Gebieten. Mädchen und Jungen seien in Grundschulen fast anteilig vertreten, Universitäten würden sogar häufiger von Frauen als von Männern besucht. Auch der Anteil von Frauen im Erwerbsleben ist laut Webseite der Generaldelegation Palästinas gestiegen, von zehn auf 15 Prozent, ihr Gehalt ist mit 73 Schekel (etwa 14 Euro) pro Tag im Durchschnitt sogar höher als das der Männer (60 Schekel, etwa 12 Euro). Für den Internationalen Frauentag führte die palästinensische Regierung dieses Jahr einen bezahlten Urlaubstag für Frauen ein.

Montag, 7. März 2011

Weiße Weihnacht im heiligen Land

Die Geburt Jesu oder alles, was mit ihr zusammenhängt, ist hier ständig präsent. In den Souvenirshops werden regalweise geschnitzte heilige Familien, Miniaturkrippen oder Kreuze verkauft, gern mit einem Tropfen heiligen Wassers, einem Brocken heiliger Erde oder einer heiligen Inschrift. Weihnachtsschmuck gehört zum Stadtbild Bethlehems.

Auch im Hochsommer wird dieser Weihnachtsbaum ausharren.

Da passt es auch, dass wir gerade vor einem verspäteten Schneesturm gewarnt wurden, der in den nächsten Tagen über uns hereinbrechen soll. Kaum zu glauben bei Temperaturen um die 13 Grad.

Na dann, frohe Weihnachten.

Sonntag, 6. März 2011

Handala

Lebenslauf eines Jungen


Der Junge ging zu einem Vergnügungspark,

zwei Straßen entfernt von seiner Straße

Unterwegs geschah ihm vieles

- zu unwichtig, um es zu erzählen -

Nach dem langen Spaziergang kam er an,

aber...

erst da entdeckte er,

dass nur Kinder Zutritt haben


Vielleicht kann man diesem Jungen, den der palästinensische Dichter Marwan Makhoul beschreibt, sogar einen Namen geben: Handala.



Der palästinensische Cartoonist Naji al-Ali rief diese Comicfigur 1969 ins Leben. Handala ist ein etwa zehnjähriger Junge, barfuß, in abgerissener Kleidung. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen beobachtet er das Geschehen. Er steht an der Mauer in Bethlehem, sieht Menschen aufeinander schießen oder liegt im Schoß der weinenden Freiheitsstatue.



Wie auch sein Erfinder muss Handala im Alter von zehn Jahren aus seiner Heimat fliehen und kann nicht zurück. Naji al-Al sagte einst über ihn:


"At first he was a Palestinian child, but his consciousness developed to have a national then a global and human horizon. He is a simple yet tough child, and this is why people adopted him and felt that he represents their consciousness."

So ist Handala zum Symbol palästinensischer Flüchtlinge geworden. Als stiller Beobachter durchlebt er das, was auch dem machtlosen Palästinenser widerfahren ist: Vertreibung, Unterdrückung – Handala ist immer dabei, still und doch präsent.



Naji al-Ali starb 1987 im Alter von 51 Jahren an den Folgen eines Attentats. Als Kritiker der israelischen Besatzungspolitik war er bei Israelis genauso wie bei Führern arabischer Länder, denen er Untätigkeit vorwarf, unbeliebt. Wer Naji al-Ali umbrachte, konnte nicht geklärt werden.


Handala lebt indes weiter. Auf Wänden, als Schlüsselanhänger und Aufdruck auf T-Shirts erinnert er daran, dass es da immer noch diese Sache gibt, die nicht geklärt wurde: Wird er nach Hause zurückkehren können?

Samstag, 5. März 2011

Machtkämpfe

Walaja ist ein verschlafener Ort. Der Taxifahrer kennt die Einwohner mit Namen, ein Zentrum, sagt er, gebe es nicht. Die Häuser sitzen verstreut in den grasgrünen Hügeln, Schafe streunen blökend über das terrassenartige Gelände, die Mandelbäume blühen, ein stahlblauer Himmel überspannt die Szene – das perfekte Postkartenmotiv. Läge da nicht eine Spannung in der Luft, die die 3200 Seelen des Dorfs umgibt, ein Gemisch aus Ärger, Angst und Frustration.

Walaja liegt nördlich von Bethlehem, im Tal beginnt Westjerusalem, nicht weit davon haben Israelis die Siedlungen Gilo und Har Gilo aufgebaut. Diese Siedlungen, so die offizielle israelische Ansage, gilt es vor palästinensischen Übergriffen zu schützen. Und für richtigen Schutz muss eine Mauer her. Im April 2010 fingen die Bauarbeiten an: Wo früher Mandeln, Avocados und Oliven wuchsen, prangt nun der erste Teil einer massiven Mauer aus Beton. Auch ein Pinienwäldchen musste weichen – alles offiziell aus Sicherheitsgründen.

Vor wenigen Jahren wuchsen hier noch Oliven und Mandeln, heute steht Shirin Al-Araj auf dem zukünftigen Weg der Mauer


Shirin Al-Araj ist wütend. Seit letztem Jahr kämpft die Bewohnerin von Walaja verbissen für einen Baustopp, das Land der palästinensischen Dorfbewohner will sie nicht so einfach den Israelis überlassen. „Sie wollen uns ersticken“, sagt die Aktivistin. „Wenn sie eine Mauer bauen wollen, warum verlängern sie nicht die, die sie ohnehin angefangen haben?“

Die östlich von Walaja gelegene jüdische Siedlung Gilo ist bereits teilweise von einer Mauer umgeben, doch die israelischen Behörden entschieden, den neuen Schutzwall zu versetzen. Doch Schutz, so Shirin Al-Araj, biete die Mauer ohnehin nicht, auf die Siedlungen schießen könne man von überall. Stattdessen provoziere das neue Betongemäuer bloß: „Das wird eine Freizeitbeschäftigung für unsere Kinder, die dann Steine gegen die Mauer werfen können.“


Wo unten der Zug fährt, verläuft die Grüne Linie, hier oben wollen Israelis die Mauer bauen


Viel schwerer als die vermeintliche israelische Provokation und der Verlust von Bäumen und Weidegebieten für Schafe wiegen indes die Konsequenzen für die Dorfbewohner: Nach Fertigstellung des Schutzwalls wäre der kleine Ort praktisch eingeschlossen von der Mauer, nur durch einen Checkpoint käme die arbeitende Bevölkerung, meist Angestellte in Jerusalemer Firmen und Banken, nach draußen. Das würde für viele das Ende bedeuten: „Allein im letzten Jahr blieb der Checkpoint in Bethlehem an 61 Tagen geschlossen“, erinnert sich Shirin al-Araj. Wer so oft im Büro fehlt, wird zwangsläufig entlassen. Die Folge: Immer mehr Menschen würden sich für einen Umzug entscheiden, außerhalb der Mauer, wo kein Checkpoint den Arbeitsweg erschwert. „Dann“, sagt Shirin bitter, „hätten sie erreicht, was sie wollen.“ Denn unbewohntes palästinensisches Land kann von Israelis wiederum zum Militärgebiet erklärt werden und den Palästinensern bliebe ein Stückchen weniger.

Am Sonntag entscheidet sich, ob der Fall Walaja das Oberste Gericht Israels erreichen wird. Es wäre wenigstens eine kleine Chance für eine gerechte Lösung. Doch selbst Shirin sieht wenig Hoffnung: „Wie viel wert ist mein Wort gegenüber ihrem?“