Der Bus hält, fährt wieder an, stop and go, stop and go. Schließlich bleibt er vor dem großen Wachturm stehen. Fast erleichtert machst du dich bereit auszusteigen, vielleicht kommst du zu Fuß sogar schneller durch den Checkpoint. Du folgst den Einheimischen, bleibst dicht hinter zwei Frauen, Mutter und Tochter vielleicht. Einfach das tun, was sie tun, dann kann nichts schief gehen. Vor einem schmalen Gittergang bleibst du stehen. Den Durchgang versperrt ein Drehkreuz, das ans Freibad erinnert. Das Blöde ist nur: Alle wollen ins Freibad, am liebsten gleich.
Vor dir stehen vielleicht neun Menschen, du bist noch nicht am Durchgang angelangt. Du versuchst die Wartezeit zu überschlagen: Wie lang wird es dauern, wenn drei Menschen hintereinander der Zugang zum nächsten Level gewährt wird und das alle geschätzten zehn Minuten? Du schaust dich um. Vor dir, hinter dir, neben dir Menschen mit leeren Gesichtern. Die beiden Frauen sind immer noch in deiner Nähe, die jüngere telefoniert, du verstehst das Wort machsum, Checkpoint. Wenigstens wartet auf dich kein wichtiger Termin, trotzdem beginnst du die Minuten zu zählen. Zentimeterweise rückst du vor, lässt kaum Platz zwischen dir und dem breiten Rücken der älteren Frau vor dir, obwohl gerade du es unangenehm findest, wenn jemand dir auf die Pelle rückt.
Das Drehkreuz bewegt sich, du rückst nach in den Gittergang. Nur noch wenige Schritte und du hast den Eingang des vermeintlichen Schwimmbads erreicht. Fast kannst du das fröhliche Lärmen der Kinder hören, das Schmatzen nasser Füße auf Asphalt. Pommesgeruch hängt in der Luft – oder heute doch lieber ein Eis am Stiel?
Vor dir, hinter dir leere Gesichter. Du spähst durch das Gitter, von Schwimmbad keine Spur. Stattdessen ein breiter Gang, kameraüberwacht, noch ein Drehkreuz, noch mehr wartende Menschen. Du hältst dich weiterhin an Mutter und Tochter. Als die Ältere der beiden nicht aufpasst, schiebst du dich halb an ihr vorbei, obwohl du Vordrängler hasst. Die Rechnung kommt prompt, empört drängt dich die alte Frau zurück, einen Versuch war's wert. Bloß dicht hinter ihr bleiben, lass dich nicht abdrängen, sonst war's das mit Schwimmbad. Von hinten schieben Menschen nach. Drei Kinder klopfen gelangweilt gegen das Wellblech des Wartebereichs. Das jüngste, ein Säugling noch, hat sich auf dem Arm der Mutter bereits heiser geschrien.
Du stellst dir vor, es sei Sommer. Schwitzende Körper, dicht gedrängt unter dem Plastikdach. In der Nähe steht ein Wasserspender, aber dort hinzugehen, würde dich wertvolle Minuten in der Warteschlange zurückwerfen. Du bleibst weiter dicht hinter dem breiten Rücken der älteren Frau. Wenn sie sich vordrängt, wirst du dich einfach hinterher drängen. Aber es ist kein Platz, jeder Quadratzentimeter ist ausgefüllt.
Das Baby schreit kontinuierlich weiter. Das Weinen strapaziert offensichtlich nicht nur deine Nerven, die Wartenden lassen die Mutter mit ihren vier Kindern vor bis zum Drehkreuz. Eine andere Mutter hat Pech gehabt, die Einjährige auf ihrem Arm quengelt nicht laut und anhaltend genug. Du überlegst: Vielleicht sollte man seinen Kindern das richtige Weinen beibringen, um schneller durch den Checkpoint zu kommen? Hinter dir stützt sich ein Mann auf einen Krückstock. Was ist, wenn jemand umfällt, was passiert mit Notfällen?
Das Drehkreuz lässt immer nur drei Menschen auf einmal durch, es bringt nichts, dass sie versuchen, sich zu zweit zwischen die Gitterstäbe zu quetschen. Aus dem Lautsprecher knarzt die Stimme des Soldaten: „Immer nur einer!“ Der Rücken vor dir drängt zurück, du drängst vor, in eine andere Richtung kannst du nicht. Zur Seite vielleicht, um Luft zu schnappen, aber dann würde sich sofort ein anderer deinen Platz schnappen.
Nebenan wird ein weiterer Kontrollpunkt geöffnet, Menschen strömen in Richtung Drehkreuz. Durch deine Warteschlange geht ein empörtes Raunen, dann kollektives Aufatmen: Die anderen müssen auch warten.
Neben dir quengelt die Einjährige auf dem Arm ihrer Mutter, die Erwachsenen um sie herum haben nicht mal mehr Lust, Späße mit ihr zu machen. Wie schwer die Kleine in den Armen der Mutter werden muss, dabei würdest sogar du schon gern deinen Kopf an den breiten Rücken der Frau vor dir lehnen. Unwillkürlich fragst du dich, wo der Schalter für Touristen ist. Gibt es hier keine Sonderbehandlung?
Es ist stickig, du steckst fest und je näher du dem Drehkreuz kommst, desto stärker wird das Gedränge. Jetzt bloß nicht abdrängen lassen, Stellung halten, der nächste Platz gehört dir! Deine Nerven sind gespannt wie vor dem Startschuss beim Sprint. Nicht das Klicken verpassen, das die Blockade aufhebt und den nächsten drei Menschen Durchlass gewährt. Du leerst schon mal deine Hosentaschen, Handy, Schlüssel, Geldbeutel und steckst alles in die Jackentasche. Wenn du auf der anderen Seite angekommen bist, muss alles ganz schnell gehen, Jacke aus, Rucksack ab, alles zügig in der Plastikbox verstauen und durch den Scanner schieben. Es wäre fatal, wenn du den Ärger der Einheimischen auf dich ziehen würdest, weil du trödelst. Deinen Pass hältst du in der rechten Hand, den Zeigefinger zwischen den Seiten mit deinem Foto, den Mittelfinger dort, wo dein Visum eingestempelt wurde. Das ist es, was sie sehen wollen, mittlerweile hast du gelernt.
Es klickt, du schiebst dich vorwärts. Alles, was Alarm auslösen würde, wird durch den Scanner gefahren, du selbst darfst passieren. Der Soldat hinter der Glasscheibe hat ein rundes, freundliches Gesicht mit Sommersprossen. Er sieht viel zu nett aus, als dass er absichtlich eine ganze Menschenmenge gegen sich aufbringen würde. Kurz kneift er die Augen zusammen, studiert dein Passbild und das Visum, rechnet nach, es hat alles seine Richtigkeit. Er lächelt, nickt - du hast es geschafft.
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